GAG-Mieterin Katharina Schmitz auf dem Sessel ihrer Wohnung
Foto: Costa Belibasakis

„Meinen Humor habe ich nie verloren“

In dieser Rubrik nehmen wir Sie mit auf Zeitreise und erzählen die Geschichten unser langjährigen Mieterin Katharina Schmitz.

Frau Schmitz, das ist eine gemütliche Wohnung, in der wir Sie hier in Buchforst besuchen dürfen. Sie haben aber nicht schon immer in Buchforst gelebt, oder?

Nein, geboren wurde ich 1926 in Höhenberg. Ich denke, dass meine Eltern ungefähr 1924 dort hingezogen sind. In Buchforst hatten meine Eltern damals nur einen Schrebergarten, zu dem wir mit dem Handwagen gingen. Da, wo früher das Kino war und heute ein Hotel steht, gleich bei der Eintracht. Das war eine Fabrik, für Lebensmittel, und die hatten auch Geschäfte.

Wie war es, in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts aufzuwachsen?

Alle Kinder aus dem Veedel kamen zu uns in die Weimarer Straße in Höhenberg, weil es da einen Platz zum Spielen gab. Nicht wie heute, mit Geräten! Da waren nur vier Bäume, die haben wir zu Ländern erklärt: Deutschland, Italien und so weiter. Dann haben wir ‚Länder abstecken‘ gespielt, jeder kriegte ein Stück Land und hat versucht, dem anderen etwas von seinem Land wegzunehmen. Oder wir spielten Völkerball, oder Fußball mit den Jungs.

An welche Besonderheiten können Sie sich noch erinnern?

Ich weiß noch, dass wir sehr oft dort auch Vögelchen beerdigt haben. Einer der Jungs war oft bei uns Mädchen, der war dann immer der Pastor. Ein anderes Mädchen spielte die Mutter, und von unseren Eltern haben wir Gardinen bekommen, die wir als Schleier trugen. Wir haben schön gespielt! Heute sieht man das ja kaum noch – Kinder die draußen spielen.

Wie haben sich die Dinge entwickelt, als sie zu einer jungen Erwachsenen wurden?

Dann kam der Krieg! Anfangs war das für uns Neuland und wir sind für jedes bisschen in den Keller gelaufen. Wir waren mehr im Bunker als zu Hause! Das war eine schlimme Zeit. In dieser Zeit habe ich auch meine Lehre begonnen. Ich war Modistin, habe Hüte gemacht. Drei Monate lang war ich bei einem Franzosen, der an der Kalk-Mülheimer-Straße ein Hutgeschäft hatte. Masson, hieß der.

Haben Sie die gesamte Kriegszeit in Köln verbracht?

Nein. Eine ältere Schwester von mir war damals schon verheiratet und lebte in Blomberg bei Detmold. Deswegen gingen wir alle dorthin und bekamen dort eine Wohnung. Zehn Jahre lang waren wir dort, bis 1954. Dort habe ich auch meinen Mann kennengelernt. Der war auch ausquartiert und kam nicht von dort, sondern aus der Nähe von Münster. Wir haben uns bei der Jugendstunde von der Kirche kennengelernt. Mir hat gefallen, dass er auch katholisch war. Die meisten waren dort ja evangelisch! Außerdem hatte er eine solche Liebe und Gutmütigkeit – ich hätte ihn immer wieder genommen!

Und wie sind Sie zurück nach Köln gekommen?

Meine Mutter hat immer wieder bei der GAG vorgesprochen und gefragt, ob unser altes Haus schon wiederaufgebaut ist. 1954 konnten wir dann endlich zurück, in genau die gleiche Wohnung wie vorher! Meine andere Schwester hat einen geheiratet, den wir schon als Jungen aus Höhenberg kannten, und wir wohnten dann alle im gleichen Haus. Aber 1956 kam unser Sohn zur Welt, da brauchten wir eine größere Wohnung und die drei Zimmer reichten nicht mehr, denn meine Mutter wohnte ja auch noch bei uns.

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Die Wohnungsnot war nach dem Krieg bekanntlich groß. Wie ist es Ihnen gelungen, trotzdem eine Wohnung zu finden?

Wir hatten Glück: Damals gab es einen aus Ostdeutschland, der sollte diese 4-Zimmer-Wohnung in Buchforst bekommen, aber die war ihm zu groß. Mit dem konnten wir tauschen, und so haben wir diese vier Zimmer mit Wohnküche bekommen. In dieser Wohnung in Buchforst lebe ich schon seit 60 Jahren.

Wie war denn das Leben in der Weißen Stadt damals?

Hier in der Siedlung gab es früher alles: zwei Drogerien, Gemüsegeschäfte, einen Stüssgen-Markt, Kaiser's Kaffeegeschäft, die Eintracht, die später Konsum hieß, eine Post, Apotheken, eine Bushaltestelle. Durch die Kirche hatte ich viele Kontakte! Ich war dort im Handarbeitskreis. Wir trafen uns jede Woche einmal. Dann wurde gestrickt, gestickt, genäht, immer für einen guten Zweck. Handarbeiten habe ich von meiner Mutter gelernt. Als ich Kind war, ging ich zur Bücherei und lieh Bücher aus. Die las mein Vater uns sonntags vor, während wir alle um den Ofen herumsaßen. Meine Mutter, meine Schwestern und ich haben dabei Handarbeiten gemacht. Ich habe noch viele Jahre lang Puppen und Teddys für kranke Kinder gestrickt.

Sie sind Kölnerin, Ihr Mann kam aus der Nähe von Münster. Welche Rolle spielte der Karneval für Ihre Familie?

Karneval habe ich mit den Frauen aus der Gemeinde gefeiert. Das war so lustig! Einmal wurde eine Frau von ihrem Mann abgeholt, und der wunderte sich, weil wir so laut lachten und feierten, dass er fragte: ‚Habt ihr da drin Gymnastik gemacht?‘ Für meine Tochter habe ich später auch Büttenreden geschrieben, als sie Kind war. Ich weiß noch, einmal sagte sie: ‚Ich bin et kleine Schmitze Mariechen. Ich hab dies' Johr esu ne dünne Lehrerin gekriegt, wenn die am Friedhof vorbei jeht, dann binden sich schon die Würmer e Lätzje um.‘ Der ganze Saal hat gelacht. In meiner Familie haben wir ja früher nur Kölsch gesprochen. Ich kann zwar auch Hochdeutsch, aber das fällt mir schwer. Nur, wenn mein Mann versucht hat, Kölsch zu sprechen, dann habe ich immer gelacht. Meine Tochter kann das auch!

Sie haben ja erzählt, dass Ihre Mutter noch bei Ihnen lebte, als Ihr Sohn schon auf der Welt war. Fanden Sie das Zusammensein mit drei Generationen manchmal schwierig?

Überhaupt nicht! Es war schön, dass meine Mutter immer bei uns war. Sie ist mit uns von Höhenberg hier nach Buchforst gezogen, und später, als dann meine Tochter zur Welt kam, konnte sie in eine andere Wohnung im gleichen Haus ziehen. Auch später noch haben wir jeden Morgen zu dritt gefrühstückt: mein Mann, meine Mutter und ich. Ach, ich habe alles für meine Mama getan! Mein Mann auch, der ging immer mit ihr einkaufen. Meine Mutter wurde 95, aber ich hätte sie gerne noch bis sie 100 gewesen wäre um mich gehabt.

Wie war denn Ihr Vater?

Mein Vater war auch ein sehr guter Mann und sehr fromm! Daran konnte sich mein Mann noch erinnern: Wenn er mich in Blomberg abends besuchen wollte, dann musste er immer warten, bis mein Vater mit der Abendandacht durch war. Und immer, wenn er dachte: ‚Jetzt war es das‘ – dann kam doch noch etwas hinterher, weil mein Vater für so viele Leute betete. Der Glaube war uns immer wichtig, aber ich glaube, ohne das wäre es auch nicht gegangen. Leicht war es ja nicht.

Was hat Ihnen denn geholfen, wenn es einmal nicht leicht war?

Neben dem Glauben: mein Humor. Ich bin ein kölsch Mädchen, meinen Humor habe ich nie verloren. Ich sehe mir auch noch den Karneval im Fernsehen an. Kennen Sie den Beckers, aus Aachen? Über den habe ich neulich so gelacht! Der hat einen Witz erzählt: ‚Ein Mann und eine Frau gehen auf den Weihnachtsmarkt‘ – oder kennen Sie den schon? Nein? Gut, dann erzähle ich weiter. ‚Ein Mann und eine Frau gehen auf den Weihnachtsmarkt und trinke Glühwein. Der Mann muss austreten. Als er zurückkommt, sagt er zu seiner Frau: Jetzt gehen wir nach Hause und feiern gemütlich Advent! Sie sagt: Ja, deine Adventshose hast du ja schon an – da steht ja schon das erste Türchen auf!‘ Ist das nicht lustig? Den Beckers könnte ich mir den ganzen Tag lang ansehen, so sehr muss ich darüber lachen.

Text: Johanna Tüntsch