Foto: Thilo Schmülgen

Die Altstadt. Historie und Hochkultur.

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Kölsches Leben komprimiert: Das ist die Altstadt zwischen Dom und Heumarkt. Dazu gehört auch die jahrtausendealte Wahrheit: Das Leben ist eine Baustelle.

Dr. Joachim A. Groth

„Die sind ganz neu!“

Klar ist Dr. Joachim A. Groth gegen Nazis. Der Sticker mit dem einschlägigen Kampfaufruf muss trotzdem weg. 

„Die sind ganz neu!“, sagt er und meint die schicken neuen Leuchtsäulen auf dem Günter-Wand-Platz vorm Gürzenich. Groth – im Hauptberuf Jura-Dozent an der Ruhr-Uni in Bochum, im Ehrenamt Vorsitzender der Bürgergemeinschaft Altstadt – lebt seit 1992 in der Herzkammer Kölns und hat es zu einer gewissen Expertise im Abknibbeln von Aufklebern gebracht. 

Nebenbei entfaltet er für seine Begleiter ein umfangreiches Zukunftsportfolio der Altstadt mit Via Culturalis, Wallraf-Richartz-Museum, Historischer Mitte, Laurenz Carré, dem jüdischen Museum MiQua . . .Diese und weitere Altstadt-Institutionen haben allerdings eines gemeinsam: Sie sind derzeit im Bau oder aufgrund knapper Kassen im Wartestand. Bis 2050 wird hier immer irgendwo eine Großbaustelle sein. Mindestens.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker

„Das ist auch der Grund dafür, dass viele Touristen ihren Weg hierher finden."

So viel vorneweg: Dieser Bericht kann nur ein winziger Ausschnitt von dem sein, was die bisweilen so pittoresk engen Gassen südlich des Doms so lebensprall macht. Denn auch, wenn für ein Gros der gut eine Million zählenden Bürgerschaft Kölns die Altstadt im Alltag nur eine Nebenrolle spielt, konzentriert sich doch auf wenigen Hektar zwischen Rheinpromenade und Tunisstraße viel von dem, was Köln überregional bedeutsam macht: Historie und Hochkultur, Klerus, Kölsch und Karneval.

Das sieht übrigens auch die noch amtierende Oberbürgermeisterin so, die seit 2015 von ihrem Schreibtisch im Historischen Rathaus auf die Altstadt blickt: „Aufgrund der vielen Orte und Gebäude, die sinnbildlich für unsere Stadt stehen, ist das kölsche Lebensgefühl hier förmlich greifbar“, sagt Henriette Reker. „Das ist auch der Grund dafür, dass viele Touristen ihren Weg hierher finden und versuchen, möglichst viel von unserer besonderen Atmosphäre mitzunehmen.“

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Baustellen als Dauereinrichtungen

Zum Glück ist Atmosphäre ein flüchtiges Element und somit quasi beliebig oft teilbar. Wohnraum nicht. „Natürlich haben wir hier ein Problem mit Airbnb“, sagt Groth. „Wie überall in Europa.“ 

Er ist froh, im Brüggelmannhaus daheim zu sein; in der unvermuteten Ruhe des Innenhofs bekommt man von Karneval und Ballermann-Tourismus draußen kaum etwas mit. „Hier herrschen, ähnlich wie in den anderen noch aus der Sanierungssatzung stammenden Wohnbauprojekten wie An Groß St. Martin und An Farina fragmentierte Besitzverhältnisse – der beste Schutz gegen Kurzzeitvermieter.“

Stadtführer Uwe Bonn

„Das muss stimmen, was du da erzählst.“

Die Probleme, die Groth beschreibt, sind allen Kölnern wohlbekannt, auch Uwe Bonn. Der Stadtführer – mit kurzen Unterbrechungen seit 1978! – hat fast sein gesamtes Arbeitsleben in der Altstadt verbracht und glaubt den Grund zu kennen, weshalb Baustellen hier so oft zu Dauereinrichtungen werden. „Die Kölner Politiker können nicht mehr klüngeln“, sagt er und beschreibt dies als Kunst, Probleme zu lösen, ehe sie entstünden. „Adenauer war der König darin!“ 

Andererseits: Genau diese Unvollkommenheit ist es, die Bonn an Köln so schätzt – und woraus er immer wieder Honig saugt für tausendundeins „Kölsche Verzällcher. So heißt seine Agentur, für die er an diesem Abend – wie so oft – als erzählender Nachtwächter Geschichten aus dem „Miljö“ zum Besten gibt. Das meiste davon hat er selbst zusammengetragen, vom Hörensagen aufgeschnappt und in dicken Historienschinken nachrecherchiert. Denn: „Das muss stimmen, was du da erzählst.“ Bei seiner Stadtführerehre! 

Der größte Wunsch für die Altstadt

Es sind nicht die Kölsch-Brauereien, von denen es im 17. Jahrhundert mehr als 130, heute aber nur noch 23 gibt, die die Altstadt zu einer außergewöhnlichen Adresse machen. Ebenso wenig die Fachwerkfassaden an Heumarkt und Alter Markt, die auch in einem beliebigen Moselstädtchen eine gute Figur machen würden. Es sind Originale wie Groth und Bonn und eines Tages vielleicht auch der erste weibliche Köbes im Früh-Brauhaus seit dessen Eröffnung 1904, die dort seit Kurzem ihren Dienst tut. Sie alle machen aus einer Ansammlung von Straßen und Steinen einen Ort, an den man wiederkommen möchte. „Ich wünsche den Menschen in der Altstadt, dass sie ihre Lebensart beibehalten“, sagt die Oberbürgermeisterin. „Und dass sie weiterhin die Chance zu viel Mitbestimmung bekommen, damit das Zentrum unserer Stadt ein lebendiger und authentischer Ort bleibt.“

Das hofft auch Joachim A. Groth. Was wäre wohl sein größter Wunsch für die Altstadt? „Einmal keine Baustelle . . .“

Text: Sebastian Züger