Foto: Thilo Schmülgen

Lindenthal. Mittagspause auf Melaten.

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Wir haben uns für unser aktuelles Veedelsporträt vom wunderschönen Lindenthal inspirieren lassen.

Zwischen Gürtel und Decksteiner Weiher prallen maximale Gegensätze aufeinander. Die Menschen in Lindenthal kennen es nicht anders. 

Welcher Kölner Stadtteil hat die höchste Promidichte? Hahnwald? Bayenthal? Oder, räusper, Hürth? Alles falsch. Richtig hingegen: Lindenthal – sofern man die Verstorbenen mit einbezieht. Nirgendwo lässt sich auf so wenigen Metern an so vielen gewichtigen Persönlichkeiten vorbeispazieren wie auf Melaten, dem nach Napoleons Geheiß seit 1810 in Lindenthal ansässigen Kölner Zentralfriedhof. Jüngst erst ließ sich hier der Kabarettist Richard Rogler zur letzten Ruhe betten, so wie vor ihm schon – um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen - Ex-Bundesaußenminister Guido Westerwelle, Gewerkschaftsgründer Alfred Böckler, die TV-Institutionen Dirk Bach und Alfred Biolek, die kölschen Originale Marie-Luise Nikuta und Willy Millowitsch sowie eine ganze Riege einstiger Kölner Oberbürgermeister. 

Günther Klein

„Die Pacht wird erst nach dem Tod fällig“

Hinter bekannten Namen stecken bisweilen auch Schnurren, die die Jahrhunderte überdauern. Braucht’s nur noch einen, der sie (fast) alle kennt. Günther Klein ist einer dieser passionierten Geschichtenerzähler. Der studierte Ingenieur und Betriebswirtschaftler hat vor rund 15 Jahren als Stadtführer seine Bestimmung gefunden und bereist seither fast immer sonntags (Termine und Anfragen via Website) mit Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt das Dies- und Jenseits von Melaten.  

Vom Eingang weg schwärmt er von der über zwei Jahrhunderte gewachsenen Flora und Fauna mit ihren prächtigen Thuja-Alleen, in deren Kronen zahllose Vogelarten zuhause sind, unter deren Gezwitscher sich Fuchs und Eichhörnchen Gute Nacht sagen. „Das ist einfach eine ganz wunderbare Parkanlage, die viele Lindenthaler nutzen, um hier ihre Mittagspause zu verbringen.“ Nur Gassigänger müssen leider draußen bleiben. Klein hat dafür Verständnis: „In einer Großstadt wie Köln hätten Sie da täglich hunderte Hinterlassenschaften auf dem Gelände – das wäre schlicht zuviel.“ 

Foto: Thilo Schmülgen
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Melaten steht als Ganzes unter Denkmalschutz. Und jedem – ob Promi oder Proll - steht es frei, sich hier sein eigenes Denkmal zu bauen. Sie oder er muss sich nur zu Lebzeiten darum kümmern. Vergleichsweise imposant gerät die persönliche Denkmalpflege mit der Übernahme einer Patenschaft für eine der mehr als 2000 Grabstätten, die als „besonders schützenswert“ gelten. Wer eine solche vor seinem Hinscheiden übernimmt und ansehnlich instand hält, darf sich nach seinem Ableben hineinlegen. „Die Pacht wird erst nach dem Tod fällig“, erklärt Klein und fügt hinzu, dass das Gemaule der Deutschen über allzu hohe Beerdigungskosten ohne Anlass sei. „In den meisten anderen Ländern zahlen Sie viel mehr für Ihr Grab!“ 

Jenseits der Friedhofsmauern gilt Lindenthal in Teilen als recht kostspieliges Pflaster. Die Nachbarschaft von Beethovenpark und Decksteiner Weiher sieht nicht nur exklusiv aus, sie ist es auch. Das Univiertel und – mehr noch – der sagenhaft verschlungene Komplex der Uniklinik produzieren verlässlich eine zahlungskräftige Klientel, die auf dem Weg zum Dienst am Patienten gern eine Brise Amsterdam-Flair an den Kanälen atmet. Auch sonst verströmt Lindenthal durchaus Potenzial für innerstädtische Ausflüge: Am Kahnweiher treten Tretbootfahrer zur großen Überfahrt an, im Tierpark lässt sich Wild den Pelz jucken. 

Es gebe in Lindenthal „wenig dazwischen“. So drückt es Sibylle Mall aus, die acht Jahre lang mit Mann und Kind im Veedel lebte. Bis heute und seit mehr als 20 Jahren kuratiert sie gemeinsam mit Bernadette Jansen den „Fotoraum“, eine freie und gemeinnützige „Ausstellungsplattform für Gegenwartfotografie“ in der Herderstraße. Mit einem ambitionierten Ausstellungsprogramm hat sie sich einen so guten Namen gemacht, dass sie unter anderem auch aus dem schmalen Budget der lokalen Bezirksvertretung Unterstützung erhält. Die Nachbarschaft rund um den „Fotoraum“ sieht Mall dennoch mit gemischten Gefühlen. „Rund um die Dürener Straße wirkt alles recht konservativ und gediegen“, sagt sie. „Aber gleich daneben gibt’s viel Leerstand in den Ladenlokalen, und beim Discounter an der Kasse umwehen dich die Alkohol-Fahnen.“ 

Ihre Familie fühlt sich im benachbarten Sülz wohler. „Da gehen wir auch schon mal downtown, da gibt es mehr alternatives Volk, das ist weniger geschniegelt.“ Rund um den „Fotoraum“ bestätigt Lindenthal Malls Beschreibung eines Veedels voller Gegensätze: Alteingesessene Läden wie die Spielwarenhandlung „Van Dillen“ oder das „Kölner Schatzkästchen“ residieren hier neben dem neohippen Café „Holm“ oder der Rösterei „Urwaldkaffee“ mit dem laut Eigenwerbung „vielleicht nachhaltigsten Kaffee der Welt“.  

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Nachhaltig Einkaufen – das geht auch direkt gegenüber bei „GoodMood Records“. Drei Tage vor dem allerersten Corona-Lockdown eröffnete Inhaber Michele Sander hier seinen „großen Traum“: einen Vinyl- und Vintage-Laden mit Schallplatten, Accessoires und Mobiliar vorwiegend aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. „Irgendwie habe ich’s durch die Pandemie geschafft“, sagt er. „Und jetzt mache ich das, was ich immer machen wollte.“  

Seine Kunden kommen mitunter aus dem benachbarten Ausland bis nach Lindenthal und finden in Sanders Bestand echte Schätzchen, etwa spezielle Pressungen von Pink Floyds „Dark Side Of The Moon“, Sammlerpretiosen wie „Swinging Macedonia“ und vor allem: unendlich viele Singles. Sander ist sein Veedel ans Herz gewachsen. „Ich werde hier gesehen, ich werde gegrüßt – das ist schon anders und schöner als im Belgischen Viertel, wo ich vorher ein winziges Lädchen hatte.“ Kürzlich habe ihn eine Lindenthalerin dafür gelobt, erzählt er stolz, dass sein stilvoll über zwei Etagen eingerichtetes Ladenlokal mit dem großen Schaufenster dem Viertel „ein Stück Seele“ zurückgebe. Die tausenden, die unweit auf Melaten liegen, kann sie damit freilich nicht gemeint haben. 

Text: Sebastian Züger