Foto: Thilo Schmülgen

Urbach. Man muss sich kümmern.

Für Durchreisende, und von denen gibt es zahllose, ist das rechtsrheinische Porz-Urbach kaum mehr als eine große Straßenkreuzung mit auffallend vielen Spielhallen. Für einige engagierte Bewohnerinnen und Bewohner hingegen ist das Veedel eine echte Herzensangelegenheit. 

„Na, wo laufen sie denn?“, fragte einst Loriot, und wir fragen mit: „Wo laufen sie denn hin?“ All die Neu-Kölner in spé, die am Rhein eine Bleibe suchen? Nach Lindenthal laufen sie, nach Ehrenfeld und in die Südstadt – doch finden sie dort auch was? Selten, immer seltener. Stattdessen landen sie, wenn überhaupt im Stadtgebiet, immer häufiger im Rechtsrheinischen mit seinen großen, stetig an Attraktivität gewinnenden Stadtbezirken Mülheim, Kalk und Porz. Am effektivsten wär‘s wahrscheinlich, die Suchenden würden es gar nicht erst linksrheinisch versuchen, sondern sich gleich jenseits des großen Stroms umsehen. 

 

 

Wie wär‘s zum Beispiel mit Porz-Urbach? „In einer Richtung Stadt, in der anderen Land“, bringt Steffen Flössel die Vorzüge seines Veedels auf den Punkt. Er selbst, gebürtiger Dresdner, hat sich diese Einschätzung seit seinem Zuzug vor gut zehn Jahren höchstselbst erradelt. Und mit was für erstaunlichen Gefährten! Im Lager unweit seines Ladenlokals an der Frankfurter Straße stehen – neben vielen anderen Kurbelkutschen – ein Chopper mit spektakulärem Lenker im Harley-Stil und Stahlkoffer zwischen zwei monströs dicken Vorderreifen sowie ein kreativ explodiertes Bonanzarad mit metallenen Satteltaschen, Zierauspuff und Totenkopf. 

Steffen Flössel, Fahrradmeister

„Das Rechtsrheinische ist doch eigentlich auch ganz schön!“

Flössel, noch im real existierenden Sozialismus zum Fahrradmeister ausgebildet, führt den wahrscheinlich ungewöhnlichsten Drahtesel-Shop Kölns. In seinem Schaufenster fletscht ein zum Krokodil umdesignter Sattel die Zähne, daneben gönnt sich ein mit Ketten und Zahnrädern frisierter Schädel eine Zigarre. „So bissl Cyberpunk“, nennt Flössel seinen speziellen Stil. 

Mit ähnlichem Understatement beschreibt er seine Umgebung: „Das Rechtsrheinische ist doch eigentlich auch ganz schön“, findet er. „Jede freie Minute schwinge ich mich aufs Rad.“ Dann ärgert er sich zwar darüber, „dass für Rollstuhl- und Fahrradfahrer nix getan wird“, etwa über manche von Wurzeln aufgewölbte Fahrbahn oder mangelnde Bordsteinabsenkungen. Aber er freut sich über die kurzen Wege ins Grüne, in die Zündorfer Groov oder zum Porzer Rheinboulevard. „Da sitz‘ ich dann und les‘ ein Buch.“ 

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Der Urbacher Bücherschrank des Bürgervereins

Vielleicht ein Buch aus dem schicken Urbacher Bücherschrank? Den hat der Bürgerverein auf dem kleinen Platz an der Ecke Fauststraße/ Breslauer Straße aufgestellt. „Das Angebot wird gut angenommen“, erzählt Simin Fakhim-Haschemi. „Aber wie bei anderen Aktionen und Initiativen, die wir hier im Stadtteil unternehmen, auch: Man muss sich kümmern.“ 

Die Vorsitzende des Bürgervereins und bekannte Kinderärztin mit Praxis im benachbarten Porz hat eine echte Leidenschaft für ihren Stadtteil. „Ich bin in Urbach geboren und aufgewachsen. Ich will, dass die Menschen hier gerne leben.“ Diesen Vorsatz teilt sie mit ihrem Vorstandskollegen Jochen Reichel, den es zwar eher unfreiwillig aus Bayern nach Urbach verschlagen hat, aber: „Ich dachte mir, wenn ich schon hier bin, dann kann ich auch mit anpacken.“ 

Und das tut er gemeinsam mit Fakhim-Haschemi sowie weiteren engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Etwa mit der Bepflanzung und – fast noch wichtiger – nachhaltigen Pflege der früher teils arg verwahrlosten Rabatten und Beete am Straßenrand. Oder mit der vielfach bunten und kreativen Gestaltung der sonst so grauen Strom- und Versorgungskästen. Oder nicht zuletzt auch mit dem Kampf um mehr Sauberkeit, was in einem Verkehrsknotenpunkt wie Urbach alles andere als einfach ist. Über Frankfurter und Kaiserstraße wälzen sich tagtäglich zehntausende Autos und die Busse der KVB. „Viele Leute, die hier durchreisen, interessieren sich nicht für unseren Stadtteil“, beschreibt Fakhim-Haschemi die Situation. „Die warten auf ihren Bus, werfen ihren Müll fort und sind weg.“ 

Foto: Thilo Schmülgen
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Foto: Thilo Schmülgen

Einige von ihnen verweilen allerdings womöglich doch etwas länger – in einer der ungewöhnlich zahlreichen Spielhallen rund um die große Straßenkreuzung. Fünf auf engstem Raum hat Reichel gezählt – und zusätzlich zwei Wettanbieter. „Sowas dürfte schon allein wegen des Abstandsgebots gar nicht möglich sein“, sagt er. „Andererseits müsste man sich auch fragen, was denn an ihrer Stelle in die Läden käme. Die jetzigen Betreiber sind zumindest daran interessiert, dass es keinen Ärger gibt, und verhalten sich entsprechend korrekt.“ 

Für die nicht volljährigen Jugendlichen, die nur ein paar Schritte weiter in der Obhut des Neukirchener Erziehungsvereins sind, sind Spielhallen noch tabu – mit ihrer trostlosen Erscheinung dürften sie aber ohnehin nicht sonderlich einladend wirken. Einer der jungen Leute ist Dimitro, gerade 18 Jahre alt. Auf der Flucht vor dem Krieg in seiner Heimat kam er aus der Ukraine Anfang 2024 nach Köln, nach einer wahren Odyssee von Lviv über Bochum, Aachen und Frechen.  

In Urbach wie in mehr als 35 weiteren Standorten allein in NRW unterhalten die Neukirchener zahlreiche unterschiedliche Wohnformen, in denen insgesamt mehr als 3.000 Jugendliche mit Fluchterfahrung oder schwierigen familiären Hintergründen zusammenleben und fit gemacht werden sollen für ein selbstbestimmtes Leben. „Wir freuen uns immer sehr, wenn wieder einer unserer jungen Menschen seinen Weg macht“, sagt Bereichsleiterin Ursula Beck und nennt als Beispiel ein einstiges Straßenkind aus Marokko, das mit 15 Jahren in die Einrichtung kam und mittlerweile als Krankenpfleger in der Uniklink arbeitet.

Auch Dimitro will in Deutschland dauerhaft Fuß fassen. Nach dem Abschluss der Sprachkurse plant er eine Ausbildung: „Ich denke, Bankkaufmann ist ein guter Beruf für mich.“  

Text: Jörg Fleischer