Lesegerät ermöglicht Zugriff auf alte Daten
Foto: Costa Belibasakis

Auf Spurensuche in der Vergangenheit

In dieser Rubrik nehmen wir Sie mit auf Zeitreise und erkunden gemeinsam die GAG-Historie. Mit diesem Artikel beginnt unsere Reise, denn hier erfahren Sie erst einmal, warum wir diese Zeitreise unternehmen.

Als größte Eigentümerin von Baudenkmälern in Köln wollten wir die Geschichte unserer Siedlungen wissenschaftlich aufarbeiten und darstellen. Unterstützt wurden wir dabei von André Dumont, der sich als Geograph und Historiker schon seit vielen Jahren mit der Geschichte von Siedlungen beschäftigt.

Da wir ganz besonders daran interessiert waren zu erfahren, welche Menschen in den historischen Siedlungen lebten und welche Berufe sie jeweils ausübten, schlug Dumont vor, die jeweilige Sozialstruktur genauer unter die Lupe zu nehmen. „Das kann man über die Adressbücher der damaligen Zeit herausfinden“, erklärt er und macht sich gleich an die Recherche.

Bewohner und Berufe in Mikrofiches

Zur Durchsicht der Adressbücher ging Dumont regelmäßig in die Universitäts- und Stadtbibliothek. Die alten Adressbücher selbst können nicht mehr zur Ansicht herausgegeben werden, weil sie zu empfindlich sind. Aber alle Daten befinden sich auf sogenannten Mikrofiches. Ein Mikrofiche ist ein viereckiges Filmmaterial, auf dem analoge Daten komprimiert abgebildet sind. Mit dem passenden Lesegerät werden Daten, wie die der Adressbücher, lesbar vergrößert.

Adressbücher werden nicht mehr herausgegeben
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Ein Lesegerät vergrößert Daten auf Mikrofiches
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Mikrofiches enthalten analoge Daten von Adressbüchern
Foto: Costa Belibasakis

Um sich einen Überblick über die Bewohner aller historischen GAG-Siedlungen und deren jeweilige Berufe zu verschaffen, teilte Dumont die Siedlungen in drei Forschungsabschnitte ein. Zuerst untersucht er die Siedlungen und Straßenzüge, die im Zeitraum von 1914-1930 erbaut wurden. Der zweite Abschnitt von Dumonts Sozialstrukturanalyse umfasst die Jahre 1931-1954. Der dritte Forschungsabschnitt beginnt ab 1954 und endet in der Gegenwart.

„Wobei die 1950er Jahre einen Bruch darstellen“, erklärt Dumont. „Denn 1954 wurde das so genannte Entbunkerungsprogramm abgeschlossen. Das heißt, die GAG hatte damals im Auftrag der Stadt Köln bis 1954 die letzten Siedlungen fertiggestellt, die für Menschen gedacht waren, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Bunkern gewohnt haben, weil es sonst keinen Wohnraum mehr gab.“ Erst ab 1954 setzte schließlich der normale, soziale Wohnungsbau wieder ein.

Soziale Durchmischung als unternehmerisches Ziel beim Siedlungsbau

Abschnitt für Abschnitt machte sich Dumont an sein Werk und ging die Adressbücher durch, in denen sowohl die Namen als auch die Berufe der ehemaligen Bewohner verzeichnet sind. Anhand von Dumonts Recherche lassen sich sogar die Stockwerke benennen, auf denen die jeweiligen Personen lebten.

In den Adressbüchern fand er Bewohner mit den unterschiedlichsten Berufen. Er ermittelte Beamte, Postangestellte, Hebammen und Totengräber. Manchmal tauchte auch der Begriff des „Drahtziehers“ auf, der mittlerweile „Fachkraft für Metalltechnik“ genannt wird.

Mit besonderer Sorgfalt überführte Dumont die Daten von den Mikrofiches in digitale Listen. Mit deren Hilfe ließen sich schnell Tendenzen ausmachen: „Man kann davon ausgehen, dass verschiedene Berufsgruppen in den jeweiligen Siedlungen unter den Bewohnern vertreten sein sollten. Die GAG wollte keine Siedlungen, in der eine bestimmte Berufs- oder Sozialschicht exklusiv vertreten ist. Es sollte eine gute Mischung der Bevölkerung zustande kommen.“ Darum fand Dumont bei seinen Recherchen Handwerker, die neben Angestellten wohnten. Oder Universitätsmitarbeiter, die mit Fabrikarbeitern in ein und demselben Haus wohnten.

Auf die Details kommt es an: Schwerpunkte der Bewohner

Als Dumont die Bewohnergewichtung noch einmal genauer analysierte, fielen ihm doch noch feine Unterschiede auf: Es gab Siedlungen, die deutlicher auf Angestellte und Beamte zugeschnitten waren als andere, was sich besonders in der Wohnungsgröße zeigte. Dann gab es wiederum andere Siedlungen in der Nähe von Industriebetrieben, die viel deutlicher auf Arbeiter und Handwerker ausgerichtet waren.

Und noch etwas bemerkte Dumont: „Im Vergleich zu den allgemeinen Wohnverhältnissen, die ansonsten herrschten, könnte man die damals entstandenen GAG-Siedlungen fast schon als luxuriös bezeichnen.“ Nicht umsonst habe er zahlreiche Architekten in den Adressbüchern gefunden, die in den Siedlungen wohnten. „Ein Architekt würde niemals in eine schlecht gebaute Wohnung ziehen. Architekten haben da ein anderes Auge für. Ob die Wohnung gut geschnitten ist zum Beispiel. Das ist schon ein Qualitätsmerkmal gewesen.“

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Häuser nur für Frauen – Konsequenz aus dem Ersten Weltkrieg

Später stieß Dumont auf noch ein weiteres, interessantes Phänomen. In einem Adressbuch von 1932 sind in mehreren Häusern nur Frauen als Bewohnerinnen verzeichnet. Dort wohnten zum Beispiel Postassistentinnen, Postbeamtinnen, Bibliothekarinnen oder Straßenbahnschaffnerinnen.

„Daran sieht man, welche Spuren der Erste Weltkrieg hinterlassen hat“, kommentiert Dumont. Viele alleinstehende, verwitwete Frauen hatten damals große Schwierigkeiten, eine Bleibe zu bekommen. „Für Frauen war es zu dieser Zeit eigentlich nicht möglich, einfach so eine Wohnung zu mieten. Darauf reagierte die GAG in den späten 1920er Jahren und reservierte in den neueren Siedlungen ganze Häuser nur für Frauen.“ In diesen Häusern gab es nur Wohnungen, die ein bis zwei Zimmer hatten, weil hier in der Regel nur eine alleinstehende Frau wohnte. Manchmal teilten sich auch zwei Frauen eine Wohnung.

Bewohnerstruktur spiegelt Entwicklung der Gesellschaft und Fortschritt wider

Dumont stellte weiterhin fest, dass in einigen Siedlungen zunächst nur Angestellte und Beamte wohnten. Später kamen aber auch Freiberufler und Unternehmer hinzu. In den Adressbüchern war außerdem vermerkt, welche Bewohner bereits über einen Fernmelder, also über ein Telefon verfügten. Die Gesellschaft entwickelte sich weiter und der Fortschritt lässt sich durch die Adressbücher nachvollziehen.

Das betrifft auch alte Berufsbezeichnungen: Viele Berufe des letzten Jahrhunderts existieren heute nicht mehr oder werden anders genannt – wie zum Beispiel der bereits erwähnte „Drahtzieher“, der mittlerweile „Fachkraft für Metalltechnik“ genannt wird. Zu den längsten Berufsbezeichnungen von damals, die es heute nicht mehr gibt, zählen beispielsweise der „Obertelegraphieleitungsaufseher“ und die „Telegraphiebetriebsassistentin“.

Die Fotos der Adressbücher und Microfiches wurden mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Rheinisch Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA) und der Wirtschaftsbibliothek der Industrie- und Handelskammer zu Köln angefertigt.

 

Text: Claudia Cosmo