Ehepaar Neubert machen einige Tanzschritte in ihrem Wohnzimmer in der Germaniasiedlung in Höhenberg
Foto: Costa Belibasakis

In Köln eine Heimat gefunden

In dieser Rubrik nehmen wir Dich mit auf Zeitreise und erzählen die Geschichten unserer langjährigen Mieterinnen und Mieter. Diesmal haben wir Konrad und Maria Neubert in der Germaniasiedlung in Höhenberg besucht.

Auf dem Couchtisch steht noch ein Strauß roter Rosen: ein Überbleibsel vom 54. Hochzeitstag, der erst wenige Tage zurückliegt, als Maria und Konrad Neubert ihr Interview geben. Für das Paar, das seit 1967 in unserer Germaniasiedlung lebt, ist es jedes Mal ein kleiner Triumph, wenn dieser Tag sich jährt. „Man hat uns damals gesagt, das würde sicher nicht lange halten“, erinnern sie sich. Die Ehe hielt trotzdem, genauso wie die der drei anderen Paare aus ihrem Freundeskreis, die im gleichen Jahr den Bund fürs Leben schlossen.

Sie alle kannten sich aus der oberschlesischen Jugendgruppe, die sich Anfang der 1960er Jahre in Köln-Deutz traf. Es waren Jahre, in denen sich die Kölner nicht immer freundlich zeigten gegenüber den Geflüchteten aus den ehemals deutschen Gebieten im heutigen Polen. 

Der Anfang war schwer

„Mich hat man lange mit dem Wort Pimock beschimpft“, erzählt Maria Neubert. Das galt für eine Schule in Bergisch Gladbach, wo gar die Direktorin selbst Marias Eltern sagte: „Wir wollen hier keine Pimocken“, aber auch noch später bei einer ihrer Arbeitsstellen. „Da nannten mich meine Kolleginnen so und wollten, dass ich die Drecksarbeit machte. Aber irgendwann bekam es die Chefin mit und sagte: ‚Wenn noch einmal dieses Wort fällt, dann geht nicht Maria, sondern eine von euch.‘ Danach war Ruhe.“ Konrad Neubert, ein ruhigerer Charakter als seine Frau, hatte sich eine Strategie zurechtgelegt, um möglichen Spöttern den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Wenn ich einen Pimock-Witz gehört habe, habe ich ihn selbst meinen Kollegen erzählt. Mit der Zeit wurde dann das Verhältnis zwischen ihnen und mir sehr gut.“

So lange er in Deutschland sei, habe er immer bei uns gelebt, berichtet der frühere Elektroninstallateur: erst mit den Eltern in Buchforst, dann mit seiner Frau in Höhenberg. Als 18-Jähriger kam er aus Oberschlesien in die Stadt am Rhein, in der sein Vater bereits eine Existenz als Stadtinspektor aufgebaut hatte. Der junge Konrad fand Arbeit in einer Mülheimer Leuchtröhrenfabrik, später war er für die GEW tätig. 

Zu Fuß aus Schlesien geflohen

Maria Neubert, geborene Weiß, hatte es dagegen schwerer. Als Kleinkind von dreieinhalb Jahren erlebte sie die Flucht, die ihre Familien in weiten Strecken zu Fuß zurücklegte. Besonders eine Anekdote ist ihr in Erinnerung: „Aus Gleiwitz weg fuhren wir mit einem Viehtransporter, aus dem wir dann raus mussten. Meine Mutter hatte die Trauringe meiner Eltern in meine Kinderkapuze eingenäht. Ich wusste, dass ich darauf aufpassen musste. Als sich mir ein russischer Soldat näherte, habe ich gebrüllt wie am Spieß. Er wollte mich auf den Arm nehmen – wohl deswegen, weil er seine eigenen Kinder so lange nicht gesehen hatte. Aber ich war nicht zu beruhigen. So hing ich schließlich halb bei ihm, halb bei meiner Mutter auf dem Arm. Zum Abschied hat er mir eine Tafel Schokolade geschenkt.“

Zehn Jahre lang lebte ihre Familie in Armut in Mecklenburg: „Mein Vater ging für uns betteln. Eines Tages sagte ein Bauer zu ihm: ‚Lieber schütte ich die Milch den Schweinen vor, als sie euch zu geben.‘ Das vergesse ich mein Leben lang nicht.“ Mit der Hilfe einer Bekannten gelang in den 60er Jahren die Flucht ins Rheinland. Geldsorgen beschäftigten ihre Eltern aber auch dort weiterhin, so dass Maria trotz ihrer guten Leistungen in der Schule nicht auf ein Gymnasium gehen konnte. Ehemann Konrad findet das nicht schade und lächelt verschmitzt: „Vielleicht wärest du sonst gar nicht in die oberschlesische Tanzgruppe gekommen und wir hätten uns nicht kennengelernt.“ 

Ältere Nachbarinnen betreuten gern die Kinder

Stattdessen absolvierte sie eine Lehre bei „Kaiser's Kaffeegeschäft“ und bekam anschließend die Möglichkeit, in das einst renommierte, inzwischen geschlossene Fachgeschäft „Keramik Weber“ unweit des Gürzenich zu wechseln, wo sie bis zu ihrer Pensionierung blieb. Die Arbeit war jedoch bei Weitem nicht das Einzige Thema im Leben des Paares, das seit der Hochzeit 1967 in der Weimarer Straße lebt: 1968 und 1969 wurden ihre Söhne Michael und Stefan geboren. „Die ersten drei Jahre waren super schön, ein sehr nettes Miteinander“, schwärmt Maria Neubert: „Wir hatten zwei ältere Damen im Haus, die miteinander darum wetteiferten, mir die Jungs abzunehmen und mich deswegen oft fragten: ‚Möchten Sie nicht mal wieder zum Friseur?‘“

Mit dem Umzug in ein anderes Haus in der gleichen Straße 1970 kam erst einmal die Ernüchterung. „Wir stellten Sektgläser auf ein Tablett und wollten von Tür zu Tür gehen, um uns vorzustellen. Aber schon an der ersten Tür sagte uns eine Nachbarin: ‚Das ist bei uns nicht üblich!‘“ Die Regeln waren streng, nur alle sechs Wochen durfte die junge Mutter Windeln und andere Wäsche zum Trocknen aufhängen. Doch zum Glück hatte selbst die unleidlichste Nachbarin eine Enkeltochter im Alter der Söhne der Neuberts, und so brach irgendwann das Eis. Eine andere Nachbarin, die sich über die Geräusche der spielenden Kinder beklagte, bekam von einem unserer Hausmeister eine Ansage: „Er meinte, sie solle an die Zeit denken, als sie selbst einen Hund hatte“, schmunzelt Maria Neubert. Auf der Straße spielten Kinder aus unterschiedlichen Häusern miteinander, und so entstand schließlich auch hier eine neue Gemeinschaft. 

Stolz auf den Aktenvermerk: „zu katholisch“

Eine große Rolle spielte im Leben von Konrad und Maria Neubert immer die Kirchengemeinde, denn beide kommen aus sehr gläubigen Familien. Mit Stolz zitiert Konrad Neubert, was er im Nachhinein in einer Akte fand, die von den Nazis über seinen Vater angelegt worden war: „Herr Neubert muss nach dem Krieg ausgerichtet werden, er ist zu katholisch.“ Auch Marias Familie in Mecklenburg-Vorpommern stand unter Beobachtung, weil der Vater dafür bekannt war, seinen christlichen Glauben zu praktizieren. In Köln mussten sie sich darum keine Gedanken machen: Hier war der Einsatz der Eheleute in der Gemeinde St. Theodor und St. Elisabeth sehr willkommen – ob im Pfarrgemeinderat, als Kommunionshelfer, bei den Stunden für die Kommunionskinder, bei den Sternsingern oder, ganz praktisch, bei der Pflege des Kirchgartens. „Die Gemeinde bedeutet uns sehr viel, aber wir denken, dass jetzt die Jugend drankommt“, erklärt Konrad Neubert dazu, dass er und seine Frau sich aus dem aktiven Gemeindeleben ein wenig zurückgezogen haben. „Das Tischgebet gehört bei uns aber immer dazu“, betont seine Frau. 

Beide lieben den Karneval

Neben der Kirchengemeinde war es vor allem der Karneval, der die Neuberts im Stadtteil Wurzeln schlagen ließ. Das ergab sich durch einen Zufall: „Es gab hier im Stadtteil einen Kegelverein. Die haben irgendwann gesagt: Sollen wir nicht mal was mit Karneval machen?“, erinnert sich Maria Neubert. Weder sie noch ihr Mann waren Mitglied im Verein, aber auf die Frage einer Bekannten hin bot sie gerne Hilfe an: Gemeinsam bastelten sie und ihre Freundin Papierblumen, mit denen ein Lastwagen für den Kalker Zug hergerichtet wurde. Als sich daraus 1975 die Gründung der „Fidelen Höhenberger“ ergab, waren Neuberts mit von der Partie.

In großen Aktenordner hat sie abgeheftet, was über die Jahre zusammenkam: Zeitungsausschnitte, Fotos, Auflistungen rund um den Höhenberger Stadtteilzug – denn den verantwortete sie von 1987 bis 1996. „Das war nach zehn Jahren ganz schön anstrengend, denn direkt nach dem Zug geht die Planung wieder los. Schon bei der Verabschiedung habe ich die Kapellen gefragt: Kommt ihr nächstes Jahr wieder?“, berichtet Maria Neubert. Ihr Mann Konrad hat sie immer unterstützt, wollte aber lieber im Hintergrund bleiben: „Vorstandsarbeit war nichts für mich. Ich war mehr für den Außendienst, zur Wache in Kalk fahren und dort Anträge abgeben, zum Beispiel.“ Den Karneval lieben sie beide, und so überrascht auch nicht Maria Neuberts Sammelleidenschaft: Rund 400 Clowns haben bei ihr ein Zuhause gefunden. In der Wohnung dürfen sie alle aber nur zur Karnevalszeit sitzen – für den Rest des Jahres sind die meisten von ihnen eingelagert. 

Text: Johanna Tüntsch

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